Definitionsmacht schwergemacht. Zu Vergewaltigungs-Debatten in der radikalen Linken und darüber hinaus

Mamba, 2005 (Wieder­ver­öf­fent­li­chung, Infos siehe unten)

Lesedauer: 14 Minuten

Nur wenig, nur die absolute Spitze von dem, was alltäglich so an Gewalt­hand­lungen vor allem gegen Frauen in der radikalen/autonomen Linken passieren dürfte, schwappt bis in die Szene-Öffent­lichkeit; nämlich – manchmal – das, was von den Betrof­fenen als Verge­wal­tigung bezeichnet wird. Die dann folgenden Schlamm­schlachten sind nur ein absurder Ausdruck dessen, was alles an tagtäg­lichen Unerträg­lich­keiten vor allem durch Männer unter den Tisch fällt und so recht keinen Platz in der – dem Anspruch nach – von beiden Geschlechtern zu verant­wor­tenden politi­schen Arena und Begriffswelt hat.

Was geht? Wer spricht? Warum?

Wir arbeiten seit ca. drei Jahren als feminis­tische, linke Frauen­gruppe zusammen. Schwer­punkt unserer Arbeit war lange Zeit ein Workshop zu Techno­lo­gie­kritik und Bevöl­ke­rungs­po­litik im Rahmen einer feminis­ti­schen Kritik an der Weltaus­stellung EXPO 2000.

Mit dem Thema »Defini­ti­ons­macht« sind wir ziemlich plötzlich und auf verschiedene Weise konfron­tiert worden: zum einen durch eine Veran­staltung der Defini­ti­ons­machts­in­fra­ge­stel­lerlnnen Les Madeleines1 in Hannover, gegen die wir uns gemeinsam mit anderen Frauen positio­niert haben. Vor allem aber haben wiederholt sexuelle Übergriffe auf Frauen in unserem eigenen Umfeld uns zur Ausein­an­der­setzung mit dem gegen­wär­tigen Umgang mit sexueller/sexualisierter Gewalt2 in der radikalen/autonomen Linken gezwungen. In den darauf folgenden Diskus­sionen mit Männern und Frauen (sowohl aus gemischten als auch aus Frauen­gruppen) zeigte sich, dass die Ausein­an­der­setzung um den konkreten Umgang mit sexueller/sexualisierter Gewalt innerhalb der radikalen Linken nahezu ein Fass ohne Boden ist. Im Verlauf der Debatten um sexuelle Gewalt wird vor allem die generelle Margi­na­li­siertheit von feminis­ti­schen Positionen innerhalb der radikalen/autonomen Linken deutlich. Im folgenden wollen wir den bishe­rigen Stand unserer Diskussion veröf­fent­lichen, um der verbrei­teten Geschichts­lo­sigkeit der jetzigen Debatten um sexuelle Gewalt etwas entge­gen­zu­setzen, Diese Geschichts­lo­sigkeit drückt sich auch in belie­bigen Proble­ma­ti­sie­rungen eines angeblich bestehenden »Defini­ti­ons­rechts« aus, die in weiten Teilen unwider­sprochen stehen bleiben.

Mit unserem Text richten wir uns sowohl an Inter­es­sierte aus der feminis­ti­schen Bewegung, wie auch an gemischt­linke Gruppen, bzw. Männer, die sich in ihrer Politik auf feminis­tische Positionen beziehen wollen.

Einschätzungen zum Status quo – Zwischen Frauenbewegung und radikaler/autonomer Linker

Wir gehen davon aus, dass es in der radikalen/autonomen Linken ein kriti­sches Bewusstsein der gesell­schaft­lichen Verhält­nisse gibt und ebenso einen verbrei­teten allge­meinen Anspruch, es  »besser« zu machen. Dennoch wird die Beschäf­tigung mit Sexismus als Bestandteil gesell­schaft­licher Realität, der politische Mikro- wie Makro­struk­turen durch­dringt, in gemischten Gruppen zumeist souverän verworfen. Die fehlende Selbst­ver­ständ­lichkeit, sich mit dem eigenen Sexismus ausein­ander zu setzen, wird ergänzt durch die fehlende Einbe­ziehung von patri­ar­chalen Verhält­nissen auf der Analy­se­ebene. Dem Anspruch zufolge, den wir an radikal­linke Politik stellen würden, diskre­di­tiert diese sich dadurch selbst.

Aber schade, schade: dieser Anspruch wird nicht von allen Links­ra­di­kalen geteilt – und ein Anspruch allein bleibt ohnehin folgenlos. Eine simple Erklärung für die immer weiter fortschrei­tende Nicht­ein­be­ziehung von feminis­ti­schen Positionen liegt im Niedergang der Frauen­be­wegung: es fehlt einfach der politische Druck. Einer­seits knüpfte gerade die autonome Bewegung, beispiels­weise mit der Häuser­kampf­po­litik, zwar an das Politik­ver­ständnis der Frauen­be­wegung an, indem sie auch das »Private« zum Gegen­stand ihrer Kämpfe machte, also »politi­sierte«. Anderer­seits löste sie dabei die Parole »Das Persönliche/Private ist politisch« aus ihrem ursprüng­lichen Kontext: dem Kampf von Frauen zur Revolu­tio­nierung des Geschlech­ter­ver­hält­nisses, und korrum­pierte sie zum Slogan eines Kultur­kampfes, in dem sich die Vertei­digung eines unkon­ven­tio­nellen, »dissi­denten« Lebens­stils verselb­stän­digte und schließlich in dem versackte, was als typisch autonomer Subjek­ti­vismus eigentlich allen bekannt sein dürfte, die seit längerem in entspre­chenden »Zusam­men­hängen« politisch arbeiten.

Diese Entwicklung steht in engstem Zusam­menhang mit einem Prozess von Ausdif­fe­ren­zierung und teilweiser Insti­tu­tio­na­li­sierung3 der Frauen­be­wegung, in dem sie insgesamt an politi­scher Stärke verlor. Die Durch­setzung bestimmter Tabus und Gepflo­gen­heiten, die Frauen das (politische) Leben erleich­terten, war innerhalb der radikalen Linken nur erreichbar vor dem Hinter­grund einer starken, kämpfe­ri­schen Frauen­be­wegung, die es ermög­lichte, zu Männern zu sagen: gut, wenn nicht mit euch, dann eben ohne oder auch gegen euch. Diese Situation ist passé. Es scheint, dass zwischen den verblie­benen autonomen Frauen­gruppen und der gemischten autonomen4 Restlinken eine »Arbeits­teilung« besteht, die dasselbe Schema wiederholt, das auch für viele Heterobe­zie­hungen charak­te­ris­tisch ist: salopp ausge­drückt, machen Frauen die Bezie­hungs­arbeit am linken »Gesamtmacker«, während vorrangig Männer sich der »großen Politik« widmen. Ist das Verhältnis zwischen Männern und Frauen erfolg­reich entpo­li­ti­siert, weil nicht mehr als Macht­ver­hältnis präsent (wofür die Frauen­be­wegung stand), haben sich, dem alther­ge­bracht-linken Politik­ver­ständnis folge­richtig, Frauen­gruppen als »politisch« erübrigt und können offen infrage gestellt werden.

Feminis­ti­scher Separa­tismus als Organi­sie­rungs­konzept wird von vielen Frauen heute als Schritt »aus den Gemischten heraus« verfolgt – während es 1975 oder 1985 unter Frauen begrün­dungs­be­dürftig war, mit Männern Politik zu machen, stehen die Dinge heute umgekehrt. Das stellt Feminis­tinnen vor die Alter­native, entweder relativ vereinzelt zu agieren, oder sich politisch auf die gemischt­ge­schlecht­liche Linke zu beziehen5. Bei vielen jüngeren, nachrü­ckenden Feminis­tinnen hat sich die Selbst­wahr­nehmung dahin­gehend verändert, dass sie sich eher in einem »linken« als »feminis­ti­schen« Diskurs verortet sehen und das auch faktisch sind. Das führt dazu, dass der Verein­nah­mungs­tendenz seitens der Linken, die verblie­benen Frauen­gruppen in sich zu subsu­mieren, unbeab­sichtigt entsprochen wird. Zu einem histo­ri­schen Zeltpunkt, an dem feminis­ti­sches Geschichts­be­wusstsein kaum noch existent Ist, wirkt damit die Kritik am »Defini­ti­ons­recht« umso fataler: Falsch­dar­stel­lungen und absurde Herlei­tungen treffen auf unser eigenes parti­elles Unver­mögen, diesen argumen­tativ und mit einer Vertei­digung der Eigen­stän­digkeit feminis­ti­scher Politik gegenüber linker zu begegnen.

Von »Selbstbestimmungsrecht«, »Definitionsrecht« und anderen Machtfragen

Seit den Hoch-Zeiten der Frauen­be­wegung, von der aus der Kampf gegen alle Formen von Gewalt gegen Frauen zunächst in dem Begriff des »Selbst­be­stim­mungs­rechts« geführt wurde, haben sich also politische Kräfte­ver­hält­nisse in der Gesell­schaft verschoben. Was einst z.B. in Debatten um den §218 und die sexuelle Verfüg­barkeit der Frau als Begriff sinnvoll war, ist heute von Bevöl­ke­rungs­po­li­ti­ke­rinnen, Gen- und Repro­tech­no­log­lnnen zur schein-feminis­ti­schen Legiti­mation ihrer Politik verein­nahmt.

Der Begriff der Selbst­be­stimmung hat damit seine ursprüng­liche Bedeutung verloren6. Der Konflikt um Männer­gewalt wie auch struk­tu­relle Formen von Gewalt, denen Frauen ausge­setzt sind, wird von uns heute in anderen Begriffen ausge­tragen: In den aktuell verwen­deten Begriffen zeigt sich eine Aufsplittung der Sicht auf Gewalt­ver­hält­nisse, in der diese häufig nur noch reduziert in den Blick kommen. Hinter der Forderung nach »Selbst­be­stimmung« stand ein umfas­sendes feminis­ti­sches Verständnis von Körper­lichkeit und Befreiung. Wenn eine schon mal von »Selbst­be­stimmung« spricht, wird die Absur­dität einer Recht­fer­tigung derselben vor Männern schneller klar, als wenn in intel­lek­tua­li­sierter Form »Defini­tionen« verhandelt werden. Allein mit »Defini­tionen« ist uns nicht geholfen; es ist das »Bestimmen«, das wir durch­setzen müssen. Das kann nicht heißen, den Begriff Defini­ti­ons­macht als solchen abzulehnen, sondern den Streit um Begriffe selbst histo­risch aufzu­ar­beiten.

Definitionsrecht oder Definitionsmacht? Welches hätten’s gern?

Es ist wichtig, sich zu verge­gen­wär­tigen, für welche unter­schied­lichen Argumen­ta­ti­ons­weisen der Gebrauch der Begriffe Defini­ti­ons­recht bzw. Defini­ti­ons­macht steht und welche Problem­de­fi­ni­tionen in diesen mittrans­por­tiert werden. Den Wortteil »Defini­tions-« mal wegge­lassen, wird ersichtlich, dass es sich bei Recht und Macht inhaltlich um zwei völlig verschiedene Dinge handelt.

Der Begriff »Defini­ti­ons­recht« ist in mehrfacher Hinsicht proble­ma­tisch. So wird ein Recht gewährt (oder auch nicht), wodurch ein passives Bild der betref­fenden Frau impli­ziert und diese tenden­ziell als Objekt behandelt wird. Bleibt noch die Frage offen, wer dieses Recht gewähr­leistet. Schließlich vermittelt der Terminus »Recht« eine »Einklag­barkeit«; ähnlich eines bürger­lichen Gerichts­ver­fahrens müsste demnach eine Art System vorhanden sein, dem bestimmte Verein­ba­rungen zu Grunde liegen. Ein dogma­tisch festge­legtes Verein­ba­rungs­schema, in welchem ein pseudo-juris­ti­sches Vorgehen dominiert, reduziert die Frau auf einen »Fall« und entpo­li­ti­siert das Geschehen zugleich.

Der Begriff Defini­ti­ons­macht ist generell nicht auf den Bereich sexueller Gewalt beschränkt, sondern wird auch in anderen politi­schen Kontexten von Linken benutzt. Es geht dabei zuvor­derst um die Frage, wer die Macht hat, etwas zu definieren. Die Linke skanda­li­siert die Defini­ti­ons­macht herrschender Eliten, Begriffe oder Problem­deu­tungen festzu­legen; umgekehrt wird Defini­ti­ons­macht als eine politische Maßnahme für dieje­nigen einge­fordert, die direkt von Herrschafts- und Unter­drü­ckungs­ver­hält­nissen betroffen sind. Niemand würde diesbe­züglich auf die abstruse Idee kommen, von Defini­ti­ons­recht zu sprechen, als würde das irgendeine Instanz garan­tieren.

Debatten um Defini­ti­ons­recht/-macht bringen für Frauen­gruppen innerhalb der radikalen Linken unwei­gerlich die »Organi­sie­rungs­frage« aufs Tapet. Das Infra­ge­stellen der Defini­ti­ons­macht blendet dieselben Macht­ver­hält­nisse aus, die autonome Organi­sierung von Frauen und deren Wider­stand überhaupt notwendig machen. Die, denen es um ein Infra­ge­stellen des Defini­ti­ons­rechts (oder der Defini­ti­ons­macht) geht, betreiben damit also implizit auch die Infra­ge­stellung der Frauen­gruppen als Organi­sa­ti­onsform – und poten­tielle Gegen­macht gegenüber einer unsoli­da­ri­schen Linken. Nur konse­quent, dass von Vertre­te­rInnen dieser Position die Diskussion um Macht­ver­hält­nisse zwischen Frauen­gruppen und Gemischt­linker sorgsam ausge­spart wird. Umso unpas­sender die euphe­mis­tisch-naive Behauptung, da würden unbegreif­licher Weise ein paar bornierte Figuren (wir sind versucht zu sagen »hyste­rische Weiber«) sich der Klärung wichtiger Fragen verweigern, als sei das Ganze ein von gemein­samen Inter­essen getra­gener Disput um »richtiges« oder »falsches« Vorgehen.

Die generös angebotene »Diskussion« ist vor diesem Hinter­grund also keine, sondern ein schlichter Macht­kampf. Somit ist es seitens der Frauen­gruppen folge­richtig, sich auch nicht anhand von Maßstäben einer Debatte zu verhalten, sondern wie in einer Ausein­an­der­setzung mit dem politi­schen Gegner.

Wie und welche Ordnung »Vergewaltigungsdebatten« schaffen

Der Ablauf einer Verge­wal­ti­gungs­de­batte innerhalb der autonomen Linken der 90er ist ein techni­scher: nach Ziehen des Zünders, der Aussage »Verge­wal­tigung« durch eine einzelne Frau setzt eine Art Mechanik ein: die besagte »Verge­wal­ti­gungs­de­batte«. Innerhalb dieser werden politische Ziele häufig unscharf: geht es zuvor­derst um den Schutz der Frau, ihre »Rehabi­li­tierung«7, Erhaltung ihrer Fähigkeit Politik zu machen oder um Strafe für den Täter und die darin gegebene Möglichkeit zur Gewis­sens­be­ru­higung für dritte, die selbst über den Vorfall schockiert sind?

Die treuherzige Anerkennung der Defini­ti­ons­macht, so sie denn erfolgt, gleicht häufig eher dem passiven Abnicken eines als quasi »Gewohn­heits­recht« angese­henen Verfahrens, dass nicht herge­leitet werden muss (was vielen sicherlich bequem ist) als der aktiven, indivi­du­ellen und kollek­tiven Partei­nahme für die Frau.

Es verselb­stän­digen sich Abläufe und das Ganze gibt eine blühende Landschaft für jeden Sexisten ab, sich als Frauen­freund zu profi­lieren. Denn mehr als die »richtige« Veran­staltung verhindern helfen, ist dafür ja nicht nötig8. Die betroffene Frau gerät dabei leicht In den Hinter­grund. Anstatt sich darum zu kümmern, wie ihr nach einem trauma­ti­sie­rendem Erlebnis geholfen werden kann, rückt die Täter­be­strafung in den Vorder­grund.

Die Gegne­rinnen von »Defini­ti­ons­recht« oder ‑macht gefallen sich oft in der Provo­kation, üben sich im willkür­lichen Rumdoktern an der Frauen­psyche. Abstrakte Kritik feminis­ti­scher Parolen (»heißt nein wirklich immer nein?«) und an dieser Stelle irrele­vante Proble­ma­ti­sie­rungen (»aber es gibt doch auch Frauen, die Verge­wal­ti­gungs­phan­tasien haben!«9) rücken ins Zentrum bzw. werden zur »Gretchen­frage«. Im Fokus des Inter­esses steht nicht etwa die Verän­derung gesell­schaft­licher Verhält­nisse, die sexuelle Gewalt hervor­bringen, oder die Suche nach einem vernünf­tigen politi­schen Umgang damit, sondern der mit intel­lek­tu­ellen Pirou­etten garnierte Zweifel, ob denn der »Täter« wirklich ein »Täter« und das »Opfer« wirklich ein »Opfer« gewesen sei10. Diese Verfahren und nicht die Defini­ti­ons­macht – wie beispiels­weise, von Les Madeleines behauptet – sind es, die ein Bild der Frau all zu patho­lo­gi­sie­rendes, passives Opfer repro­du­zieren, die bei einem »privaten« Problem nach Hilfe verlangt.

Den Hinter­grund jedes aktuellen Diskurses um Verge­wal­tigung in der Linken bildet die still­schweigend-alltäg­liche Behandlung von Sex und Bezie­hungen als »Privat­sache«, die wenn überhaupt immer nur punktuell und in indivi­dua­li­sierter Form Gegen­stand der Politik werden kann – ganz wie in der sonstigen bürger­lichen Gesell­schaft.

Die schau­rigen Verge­wal­ti­gungs­de­batten bilden derzeit den einzigen Aufhänger für die Diskussion innerhalb der autonom­linken Öffent­lichkeit um das Geschlech­ter­ver­hältnis, das ansonsten nicht thema­ti­siert wird. Unter dem Druck des konkreten Vorfalls kommt es aber zuerst auf eine Positio­nierung an und diese wird auch einge­fordert. Das ist für Bewusst­seins­bildung denkbar ungünstig: niemandem wird zunächst die Gelegenheit zur Ausein­an­der­setzung und zum Erkennt­nis­gewinn gegeben, um sich anschließend verhalten zu können. Die unter­schied­lichen Dimen­sionen sexis­ti­scher Gewalt und Unter­drü­ckung reduzieren sich in der Wahrnehmung vieler auf ein singu­läres Ereignis. Durch die Zuspitzung auf den »Extremfall« Verge­wal­tigung werden andere Formen von sexis­ti­schem und frauen­feind­lichem Verhalten bagatel­li­siert oder ganz aus den Augen verloren.

Aber angesichts konkreter sexis­ti­scher Übergriffe bestehen eben andere Notwen­dig­keiten als Aufklärung zu leisten. Die radikale Linke, die erwartet, dass Feminis­tinnen in diesem Moment für Aufklärung zur Verfügung stehen, ist offen­sichtlich von allen guten Geistern verlassen.

Macht: Darf’s ein bisschen mehr sein?

Die Erkämpfung der Defini­ti­ons­macht bzw. die Einsicht in die Notwen­digkeit dessen kann nur eine – wenn auch eine gewichtige – politische Maßnahme sein, die sich durch die gegebenen politi­schen und gesell­schaft­lichen Verhält­nisse legiti­miert. Es handelt sich dabei um kein perfektes Konzept, da es histo­risch bedingt aus einer Defensive geboren und zudem eine »missbräuch­liche« Verwendung nicht auszu­schließen ist. Letzteres als Argument gegen die Defini­ti­ons­macht ins Feld zu führen, heißt jedoch auch, sämtliche gesell­schaft­lichen Verhält­nisse auszu­blenden, zu denen diese politische Forderung in enger Beziehung steht. Es kann nicht um ein »mecha­ni­sches« Vertei­digen einer lediglich situa­tiven Defini­ti­ons­macht gehen, sondern einer­seits um die Erwei­terung der gegen­wär­tigen Ausein­an­der­setzung mit sexueller Gewalt in der gemischten radikalen Linken. Anderer­seits muss es eine umfas­sende Debatte unter Frauen um feminis­tische Positionen im allge­meinen geben, die unsere gegen­wärtige politische Situation reflek­tiert und dazu führt, bestehende Spaltungen (auch organi­sa­to­rische) zu überwinden und Streit­punkte aus verän­derter Perspektive anzugehen. Die Ausein­an­der­setzung um sexuelle /sexualisierte Gewalt in der radikalen Linken sollte der Orien­tierung »pro-Frau« statt »contra-Mann« folgen. Derartige Priori­täten zu setzen hieße, sich für das zu entscheiden, was eine linke Bewegung und Organi­sation leisten kann, statt weiterhin Mini-Staat oder wider­spruchs­freie Zone zu spielen. Sexuelle Gewalt kann nicht per Anspruch ausge­schlossen werden11.

Ziel muss sein, mit der [Gewalt?], die es gibt und zunächst immer wieder geben wird, einen Umgang zu finden. Dabei sollte langfristig ein politi­sches Bewusstsein und sozusagen eine »Norma­lität« entstehen, in der sexuelle Gewalt als eine Ausprägung von sexis­ti­schen und patri­archal struk­tu­rierten gesell­schaft­lichen Verhält­nissen thema­ti­sierbar ist, ohne dass im gleichen Zuge die Täter entlastet werden. Auch unabhängig vom Tatbe­stand »Verge­wal­tigung«, angesichts »weniger schlimmer« Vorfälle, muss gehandelt werden. Dabei wäre unsere Hoffnung (die sich mit bishe­rigen Erfah­rungen deckt), dass Gewalt­er­leb­nisse für die Opfer subjektiv leichter verkraftbar sind, wenn sie nicht wie eine Bestä­tigung immer­gleicher, unver­än­der­licher Verhält­nisse und darin erlebter Missachtung daher­kommen. Wenn anstelle der bisher häufigsten Gewissheit, dass das betref­fende Erlebnis aus gesell­schaft­lichen Verhält­nissen hervorging, die zu bekämpfen die Genos­sInnen nicht für nötig erachten, der Eindruck tritt, dass sie im Kampf dagegen prinzi­piell hinter der Betrof­fenen stehen12, kann z.B. das Gefühl von Abwertung im Nachhinein gemildert werden.

Wenn wir oben davon reden, konkrete sexuelle Gewalt als »extreme« Ausprägung der gesell­schaft­lichen Verhält­nisse sei ein schlechter Aufhänger für eine aufklä­rende Debatte um Sexismus, dann geht es uns dabei um das Gegenteil der Relati­vierung etwaiger Übergriffe. Mit dem Verweis auf deren Einge­bun­denheit in die gesell­schaft­lichen Verhält­nisse wurde bereits oft genug die Bagatel­li­sierung von sexueller Gewalt betrieben13 und deren Thema­ti­sierung tabui­siert, was zum Vorwurf des »Täter­schutzes« führte. Uns geht es dagegen um die Überlegung, wie sexuelle Gewalt in Zukunft politisch wirksamer skanda­li­siert werden kann14. »Politisch wirksame Skanda­li­sierung« und »Hilfe für die Betroffene« sind nicht als Gegen­sätze zu disku­tieren: jeder akute Übergriff ist neben der Solida­ri­sierung mit der Betrof­fenen, den er erfordert, auch ein zwingender Anlass, sich über den Status quo der Ausein­an­der­setzung um sexuelle Gewalt in der radikalen/autonomen Linken klar zu werden und daraus Konse­quenzen zu ziehen. Die vorder­gründige Bezugs­lo­sigkeit bishe­riger Verge­wal­ti­gungs­de­batten zum sonstigen politi­schen Alltag erschwert deren Aufar­beitung als Ausdruck radikal­l­inker Verfasstheit und Politik.

Gleich­zeitig ist die Verstän­digung zwischen Frauen in Frauen- und gemischten Gruppen häufig miserabel, und auch die zwischen Frauen­gruppen ist – zumindest in unserem Umfeld; wenn wir ansonsten irren sollten, umso schöner – nicht großartig. Es stellt sich die Frage, wie und an wen vor diesem Hinter­grund welches politische Bewusstsein vermittelt wird, werden soll, kann?

Die »Zustän­digkeit« als Frauen­gruppe für gewisse »Themen«, wie »Sexismus« zu verweigern, wenn dies von Männern bzw. Leuten gefordert wird, die sich selbst nicht dazu verhalten wollen, ist eine Sache: bei vielen äußert sich die Abwehr der Ausein­an­der­setzung auch in vorder­grün­diger Anerkennung der Frauen­gruppen und ihres »wichtigen politi­schen Auftrags«, der damit wunderbar klarge­zogen werden kann, auf dass auch keine Kompe­tenz­strei­tig­keiten aufkommen. Mecha­nisch die Deutungs­hoheit für noch jedes Einzel­problem rund um »Sexismus« an Feminis­tinnen abzugeben, ist unpoli­tische Katzbu­ckelei. Wann hingegen der Eindruck aufkommt, in einer politi­scher Verant­wortung zu stehen, wann ein Thema »aufge­zwungen« ist (welches politische Thema ist denn nicht »aufge­zwungen«?) und wie Frauen­gruppen unter­ein­ander politi­sches und Geschichts­be­wusstsein vermitteln, sollte unserer Einschätzung nach wieder verstärkt Thema unter Frauen(-gruppen) sein.

Die Vertei­digung und Erwei­terung der »Defini­ti­ons­macht«, die das Stichwort des aktuellen Diskurses zwischen haupt­sächlich der restau­to­nomen Szene, ihrer feminis­ti­schen Sub-Szene und einigen weiteren politisch margi­nalen linken Kräften ist, muss deren Geschichte einbe­ziehen und unter Bezug auf Prinzipien feminis­ti­scher Politik erfolgen. Das beinhaltet die Beibe­haltung und Stärkung der Autonomie der Frauen­gruppen und die prinzi­pielle Möglichkeit der Frauen innerhalb gemischter Gruppen und Organi­sa­tionen, diese [Autonomie] auch abgestuft, nach Bedarf für sich einzu­setzen.

Nur aus der Autonomie heraus kann die Defini­ti­ons­macht über die Gestalt und Relevanz sexualisierter/sexueller Gewalt und sexis­ti­scher Übergriffe durch­ge­setzt werden. Schließlich geht es um Macht, und die wird nicht freiwillig abgegeben, sondern durch den Aufbau von Gegen­macht erstritten. Die gefor­derte Partei­lichkeit gerade der gemischten linken Gruppen lässt sich nicht als Verhal­tens­kanon verpacken, auch wenn so was in der autonomen/radikalen Linken so beliebt ist und für viele das einzige zu sein scheint, was Sicherheit über die eigene politische Existenz gibt. Statt beim »im Zweifel für die Frau« stehen zu bleiben, muss als Boden für konkretes Verhalten eine umfas­sende Sicht auf die – patri­archal verfassten – Dinge entwi­ckelt werden. Praktisch muss die Bereit­schaft da sein, wenigstens Schadens­be­grenzung zu leisten. Wem die Erkenntnis bisher mangelte, dem sei gesagt: die Partei­lichkeit der Männer für ihres­gleichen in der gegen­wär­tigen Gesell­schaft, ihr männer­bün­di­sches Agieren, macht feminis­tische Partei­lichkeit erst notwendig. Um den Zustand taten­loser männlicher Mittä­ter­schaft zu durch­brechen, braucht es aktive, sichtbare Partei­nahme von Männern – den Verrat am Männerbund: »Wer schweigt, stimmt zu«. Priorität bei allem, was infolge von Übergriffen unter­nommen wird, muss Schutz und ggf. Rehabi­li­tierung der betrof­fenen Frau sowie die Orien­tierung an ihrem Willen, was sich punktuell wider­sprechen kann, sein. Ganz bestimmt haben wir nichts erhel­lendes oder konstruk­tives von reinen Begriffs­dis­kus­sionen zu erwarten, die von politi­schen Konflikten abstra­hieren. Vorfüh­rungen nachge­ahmter Staat­lichkeit im Zuge von Verge­wal­ti­gungs­de­batten (Verrecht­li­chung usw.) zeugen von Perspek­tiv­verlust und einer Sehnsucht radikal-linker Zusam­men­hänge nach einfachen Verhält­nissen, die das schlechte Bestehende affir­miert. Das Heil wird in der Abstraktion gesucht, dem Austüfteln eines allge­mein­gül­tigen Rasters, das von der Subjek­ti­vität des Erlebten und der Er- und Überle­benden15 wegführt und andere aus der sozialen und politi­schen Verant­wortung, sich als Freun­dInnen oder Genos­sInnen von Täter oder Opfer zu verhalten, enthebt.

Der eigent­liche Streit­punkt hinter der Frage, wer seine bedrü­ckenden, verlet­zenden, gewalt­vollen Erleb­nisse im Zusam­menhang mit Sexua­lität wie definieren solle oder dürfe, ist die Frage danach, was Folge einer solchen Definition sein sollte. Die Idee einer Macht­po­sition von Frauen, Sanktionen durch­zu­führen, schreckt viele. Beides, Umgang mit Opfer und Täter, hat aber nur bedingt mitein­ander zu tun. Es ist Unsinn, einer Frau die Kompetenz ein eigenes Erlebnis treffend zu definieren, abzusprechen, nur weil mensch einen schema­ti­schen Straf­ka­talog im Kopf hat, so dass aus der jewei­ligen Definition zwangs­läufig Sanktion XY folgen muss. Statt einer Reduzierung oder einem In-Zweifel-ziehen der Defini­ti­ons­macht sollte jegliche Art von sexueller/sexualisierter Gewalt und Beläs­tigung thema­ti­siert werden können und dabei die gleiche Partei­lichkeit und Unter­stützung finden. Der Skandal besteht nicht darin, wie einige morali­sierend vermuten, dass die Möglichkeit gegeben ist, dass Frau XY »wider­rechtlich« Gebrauch von dem »Macht­mittel« Verge­wal­ti­gungs­de­batte macht (darauf wäre am ehesten zynisch zu antworten: wenn eine daraus Nutzen zieht, ist sie hoffentlich schlau genug, es anzuwenden). Der Punkt ist, dass ohne Verwendung des Verge­wal­ti­gungs­be­griffs oder anderer »Tabubrüche« mit Sicherheit nichts passiert.

Das ist kein Verschulden der Frauen­gruppen, sondern der latenten Frauen­feind­lichkeit der radikalen Linken, die keine Formen des Umgangs mit sexualisierter/sexueller Gewalt entwi­ckelt hat und damit ausdrückt, dass die von Beläs­ti­gungen, Demüti­gungen und Übergriffen freie Teilhabe und Mitbe­stimmung ihrer Politik durch Frauen ihr ein sekun­däres Anliegen ist – das ist nicht eben ein neues Phänomen. Aufgabe einer konti­nu­ier­lichen Diskussion um »Sexismus« wäre es, die Möglichkeit zur Entwicklung politi­schen Bewusst­seins zu bieten. Substan­zi­elles zum Umgang mit Tätern und zur Möglichkeit, durch männliche Zurichtung zum Täter zu werden, erwarten wir uns v.a. von Männern.

… und darüber hinaus

Das Erkennen der Notwen­digkeit autonomer Organi­sierung von Frauen ist von dem Bewusstsein nicht zu trennen, als Linke Teil der Gesell­schaft zu sein, in dem Frauen­feind­lichkeit ebenso möglich ist wie woanders. Das heißt nicht ledig­liches Abnicken der rein karitativ verstan­denen »Schutz­funktion« von Frauen­gruppen, sondern: Erarbeitung eines Bewusst­seins darüber, dass Organi­sa­ti­onsform und inhalt­liches nicht unabhängig vonein­ander sind und die Linke in der Ausein­an­der­setzung mit Frauen­gruppen einiges lernen kann, dessen sie sonst offen­sichtlich unfähig ist.

Dass damit Frauen­gruppen als Korrektiv der Linken herhalten, ist die Negativ­for­mu­lierung der Möglichkeit, linke durch feminis­tische Politik zu radika­li­sieren. Das finden wir angesichts unserer Ausgangslage, der beinahen Stimm­lo­sigkeit von Feministinnen/Frauengruppen in der Linken, nicht das schlech­teste Ziel, wenn es auch den Anspruch, sich von linken Gruppen und Genossen nicht abhängig zu machen, kaum befrie­digen kann. Würden wir die Linke für reaktionär und sonst nix halten, dann bräuchten wir kein Bündnis mit ihr zu suchen und ein Selbst­ver­ständnis als Linke wäre obsolet. Aber auch »Feminismus« bietet nicht automa­tisch ein emanzi­pa­to­ri­sches Zuhause. Da wir uns selbst auch als Linke sehen und den Anspruch habe, linke Politik mitzu­be­stimmen, sehen wir nicht ein, weshalb wir uns zwischen einer »linken« und einer »feminis­ti­schen« Ausrichtung entscheiden sollten – wobei das eine nicht im anderen aufgeht und Ausein­an­der­set­zungs­fä­higkeit feminis­tische Autonomie bedingt. Einige werden es vielleicht für überflüssig oder falsch halten, zu diesem Zeitpunkt, wo die Berlin-Debatte16 schon eine Zeitlang her ist, dies alles extra aufzu­kla­müsern und zu verschrift­lichen. Dem lässt sich unsere Wahrnehmung entge­gen­halten, dass es leider sehr wohl nötig ist, den Sinn einst erkämpfter feminis­ti­scher Gepflo­genheit und Begriffe neu herzu­leiten, und auch auf diesem Wege durch­zu­setzen. Die frucht­losen Verge­wal­ti­gungs­de­batten haben jeden­falls keinen Beitrag zur diesbe­züglich Geschichts­ver­mittlung geleistet, sondern stehen sympto­ma­tisch für die autonome Geschichts­lo­sigkeit und den darauf folgenden Zwang, permanent das Rad neu zu erfinden17. Nach einigen PC- und noch mehr Anti-PC-Diskursen und im Kontext eines wieder offener frauen­feindlich werdenden gesell­schaft­lichen Klimas muss der Anspruch auf feminis­tische Selbst­be­stimmung und/oder Defini­ti­ons­macht ebenso wie der auf autonome Organi­sierung wieder offensiv begründet werden. Unsere gegen­wärtige Position gegenüber und innerhalb der radikalen Linken ist so schwach, dass sie nur daraus wieder stärker werden kann.

In diesem Zusam­menhang kann die pauschale Haltung, sich auf keine Diskussion einzu­lassen, zum Hemmschuh für die »eigene« Ausein­an­der­setzung, Positi­ons­findung unter Frauen und Frauen­gruppen werden und damit letztlich auch für die Entwicklung von feminis­ti­scher Gegen­macht. Mit der Veröf­fent­li­chung unserer bishe­rigen Diskus­si­ons­er­geb­nisse geht es uns darum, als »Diskussion« bemän­telte Angriffe als solche kenntlich zu machen, in eigener Sache Streit zu suchen und gleich­zeitig einer Verstän­digung über politische Ziele von Frauen innerhalb der radikal­ge­mischten Linken Raum zu geben.

Was das Zugeständnis »allgemein«-radikallinker begriff­licher Mangel­wirt­schaft betrifft: die »Gemischten« tun gut daran, sich um Berei­cherung, Korrektur und Erwei­terung des bishe­rigen zu bemühen. Die Beweislast, was Konstruk­ti­vität und Offenheit für Diskus­sionen angeht, liegt nicht auf Seiten der Frauen.

DANK: WIR HABEN IN DER LETZTEN ZEIT UNSERE POSITIONEN IN VERSCHIEDENEN RUNDEN, MIT FRAUEN UND MÄNNERN, DISKUTIERT. VIELEN DANK FÜR EUER INTERESSE, EURE ANREGUNGEN UND SOLIDARISCHE KRITIK!


Anmerkung: Dieser Text wurde hier wieder­ver­öf­fent­licht, weil er sich im Original nur mit einer unsicheren Internet-Verbindung lesen lässt. Eindeutige Fehler in Grammatik und Recht­schreibung wurden korri­giert. Außerdem wurden in eckigen Klammern einige wenige Anmer­kungen und Ergän­zungen zum besseren Verständnis hinzu­gefügt. Es besteht kein Kontakt zu den Autor*innen des Originals.

  1. Les Madeleines sind eine überre­gional arbei­tende gemischt­ge­schlecht­liche Gruppe, die sich nach eigenem Bekunden schwer­punkt­mäßig mit dem Geschlech­ter­ver­hältnis ausein­an­der­setzt. ↩︎
  2. Wir halten uns im folgenden an einen weitge­fassten Gewalt­be­griff, der struk­tu­relle und indirekte Formen von Gewalt einschließt. Er hat sich bewährt, um unter­schied­lichste sexis­tische Unter­drü­ckungs­er­fah­rungen von Frauen thema­ti­sierbar zu machen. Wir folgen damit einem politi­schen Zweck und verwenden den Begriff nicht ausschließlich »im Dienste der Wahrheits­findung«. Was an sexueller Gewalt »sexuell« und was »gewalt­tätig« ist, werden wir hier nicht disku­tieren, weil das Ausspielen beider vermeint­liche Klarheit sugge­riert, die konkret nicht immer gegeben ist und sein kann. Der Ausdruck »sexuelle/sexualisierte Gewalt« soll hier auch sexis­tische Übergriffe und Beläs­ti­gungen einschließen, die durch dieselben Verhält­nisse ermög­licht werden wie direkte sexuelle Gewalt. »Sexua­li­siert« verweist darauf, dass nicht die Sexua­lität das Entschei­dende ist, sondern die Gewalt­aus­übung, die eben bloß in sexua­li­sierter Form auftritt. »Gewalt« fungiert weiter­gehend als Signal­be­griff: Für uns ist im gegebenen Zusam­menhang vorrangig, das Geschlech­ter­ver­hältnis als Gewalt­ver­hältnis zu erfassen, auch wenn es nicht nur und ausschließlich als solches charak­te­ri­sierbar ist. ↩︎
  3. Insti­tu­tio­na­li­sierung kann vieles heißen: Die teilweise Insti­tu­tio­na­li­sierung war für Projekte wie Frauen­häuser und Notrufe sicher die einzige Überle­bens­chance und ist auch nur sehr einge­schränkt mit profes­sio­na­li­sierter Frauen­po­litik z.B. in Form von Gleich­stel­lungs­be­auf­tragten zu vergleichen. ↩︎
  4. Der Begriff »autonom« bezeichnet für Frauen­gruppen und »die Autonomen« als gemischte Bewegung etwas unter­schied­liches: während Frauen­gruppen sich damit auf das feminis­tische Autono­mie­prinzip beziehen, wurde die Bezeichnung »die Autonomen« aus der italie­ni­schen Linken übernommen, wo sie für eine außer­par­la­men­ta­rische Strömung der 60er Jahre stand, die »Autonomia operaia«. ↩︎
  5. Ob diese Wahrnehmung die einzig mögliche, ob der Anschluss in die gemischte radikale Linke und der Versuch die Einfluss­nahme auf ihre Politik tatsächlich unaus­weichlich ist, oder ob nicht inzwi­schen (nach einer gewissen »Überwin­te­rungszeit«) die Neube­gründung und Stärkung von Frauen­ak­tions- und Diskus­si­ons­foren für Feminis­tinnen in der radikalen Linken Priorität haben sollte, ließe sich disku­tieren. ↩︎
  6. Der Selbst­be­stim­mungs­be­griff beinhaltet eine Trennung und Hierar­chi­sierung von »Kopf« (-kognitive Fähig­keiten, Ratio­na­lität) und Körper: Das Bewusstsein soll das (gesell­schaft­liche) Sein bestimmen. »Selbst­be­stimmung« steht heute [dagegen] für eine indivi­dua­li­sierte, entpo­li­ti­sierte »Entschei­dungs­mög­lichkeit« der Frau (v.a .über ihren Körper), die umso größer sei, je mehr (techno­lo­gische) Möglich­keiten ihr offen stehen und je mehr sie davon nutzt, ihren Körper und darüber auch ihre Biografie zu kontrol­lieren. Dadurch ist dieser Begriff heute keiner mehr, mit dem Frauen bewusst Einfluss nehmen, sondern mit dem versucht wird, ihre Entschei­dungen zu beein­flussen. ↩︎
  7. Dass eine solche überhaupt nötig ist, spricht für sich und gegen Gruppen und Organi­sa­tionen, deren Verhalten eine Rehabi­li­tierung nötig macht. Trotzdem ist es Fakt, dass Frauen sich auch in solcher­maßen frauen­feind­lichen Gruppen organi­sieren wollen, und diese Wahl ist ihnen offen zu halten. ↩︎
  8. Wir tun damit sicherlich einigen Unrecht. Ein Charak­te­ris­tikum dürfte dennoch damit getroffen sein. ↩︎
  9. Gerade deren Vorhan­densein verweist darauf, dass Phantasien nicht rein spiele­risch und ohne äußere Beein­flussung zustande kommen. ↩︎
  10. Hier zeigen diskurs­theo­re­tisch geschulte Linke gern ihre »Schoko­la­den­seite« und üben fleißige Kritik an »identi­tären Zuschrei­bungen« oder gleich »Identi­täts­po­litik«. Häufig erfolgt eine bloße begriff­liche Anspielung auf Theorie­ge­bäude, die vielen nichts sagen, anstatt eine Ausein­an­der­setzung zu erreichen oder diese zu wollen. ↩︎
  11. Wer und was wann und wo auszu­schließen ist und ausge­schlossen werden kann, ist Gegen­stand konkreter Verhal­tens­fragen. Die verschie­dentlich vorge­brachte allge­meine Kritik an der »elimi­na­to­ri­schen« Ausrichtung von Verge­wal­ti­gungs­dis­puten, ihrem Charakter als »interne Säube­rungen«, sollte mit deren Entste­hungs­zu­sam­menhang abgeglichen werden. Der Gipfel einer psycho­lo­gi­sierend kaschierten, unsoli­da­ri­schen Pseudo-Kritik, die damit zur Hetztirade in bester antife­mi­nis­ti­scher Tradition wird, ist die Feststellung einer angeblich damit einher­ge­henden bürger­lichen »Sexual­feind­lichkeit«, wie sie etwa von der Bahamas in »Infantile Inqui­sition« formu­liert wurde. Dort wird die Psycho­analyse für eine reaktionäre Argumen­tation nutzbar gemacht und so ein Anschein von Wissen­schaft­lichkeit aufgebaut, für den ebenso gut auch eine andere Theorie hätte herhalten können. Das einzige, was durch den Vorwurf der Tabui­sierung von Sexua­lität wirklich tabui­siert wird, ist die Frage nach Gewalt- und Macht­ver­hält­nissen innerhalb konkreter sexueller Bezie­hungen. Hingegen der von der Bahamas notdürftig wieder­erwärmte Mythos einer ambiva­lenten, geheim­nis­vollen und befrei­enden Sexua­lität ist eher ein Grusel­schocker aus den Aufbruchs­tagen der APO als eine nach aller histo­ri­schen Erfahrung für die Linke noch ernsthaft disku­tierbare Idee. Von den Wipfeln weltver­ges­sener Ideolo­gie­kritik mölmt der Staub und Muff der 68er… Hust. Uns jeden­falls ist angesichts einer derar­tigen »Sexua­lität« ganz wohl in der Feind­schaft dagegen. Wer die reaktio­nären Tendenzen der jetzigen, sich wieder­ho­lenden Verge­wal­ti­gungs­de­batten angreift, hat sich darin auf deren Platz im gesamt­ge­sell­schaft­lichen Geschehen und ihren Zusam­menhang mit dem Problem autonomer Desor­ga­ni­sierung zu beziehen. ↩︎
  12. Das schließt Konflikte unter­ein­ander über das »Wie« nicht aus. ↩︎
  13. Vgl. Madeleines und Bahamas. ↩︎
  14. Nicht alles, was an unleid­lichem in Heterobe­zie­hungen passiert, muss unbedingt den Weg über eine explizite »Politi­sierung« nehmen, wenn es auch außerhalb dessen, im zwischen­mensch­lichen Bereich und mit dessen Kategorien (Vertrauen, Verzeihen, Hoffnung, Freund­schaft, Nachsicht) möglich ist, einer Frau nach einem Scheiß­erlebnis Unter­stützung zuteil werden zu lassen und das auch geschieht. Wohl überflüssig zu erwähnen, dass die Einschätzung der Betrof­fenen maßgeblich dafür ist, ob ein Vorfall ausrei­chend »politi­siert« wurde? ↩︎
  15. Da der Überle­ben­denbe­griff von Les Madeleines in der oben beschrie­benen einsei­tigen Weise kriti­siert wurde (vgl. »Das Borderline-Syndrom«), noch eine kleine Erläu­terung dazu: er wurde von Frauen in Abgrenzung zum mit Passi­vität assozi­ierten Opfer­be­griff entwi­ckelt. Er soll der komplexen Situation der von Gewalt betrof­fenen Frauen gerecht werden: sie werden nicht nur Opfer, sondern kämpfen auch ständig um ihr Überleben, sowohl innerhalb einer Gewalt­si­tuation als auch danach. Das daraus resul­tie­rende wider­sprüch­liche Verhalten von Frauen Männern gegenüber wird ihnen oft als Mittä­ter­schaft ausgelegt. Hierbei wird aber eines grund­legend verkannt: Eine Frau, die sich in einem Gewalt­ver­hältnis befindet, hat dieses nicht herbei­ge­führt. Sie wird mit einer für sie gefähr­lichen Situation gezwun­ge­ner­maßen konfron­tiert. Sie versucht nun, den bestmög­lichen Weg zu finden, um ihr Überleben zu sichern und so wenig wie möglich zum Opfer zu werden, also Schaden zu nehmen. Dieses Bemühen kann auch darin bestehen, sich eben nicht zu wehren und scheinbar in Dinge einzu­wil­ligen. Es ist wichtig zu bedenken, dass die verschie­denen Überle­bens­stra­tegien auf Grundlage einer lebens­läng­lichen, mehr oder weniger stark gespürten Unter­drü­ckungs­si­tuation innerhalb von patri­ar­chalen Verhält­nissen entwi­ckelt werden und mit dem Wissen, von Männern abhängig zu sein. Schließlich ist es Frauen ja nicht möglich, sich in eine männer­freie Welt zu flüchten, sondern sie müssen sich mit dem was da ist, arran­gieren. Der Überle­ben­denbe­griff stellt von feminis­ti­scher Seite den Versuch dar, das Aktive im Handeln der Frauen in den Vorder­grund zu stellen und darüber hinaus die existen­tielle Bedrohung, der sie häufig ausge­setzt sind, klarzu­machen. Eine Kritik hat das einzu­be­ziehen. ↩︎
  16. [Gemeint ist höchst­wahr­scheinlich die Debatte um Verge­wal­ti­gungen in der radikalen Linken, die 1999/2000 vor allem in der Zeitschrift Interim geführt wurde. Die Debatte ist hier archi­viert.] ↩︎
  17. Vgl. dazu Heinz Schenk: Die Autonomen machen keine Fehler, sie sind der Fehler, 1991. ↩︎